Oliver Augst

Artikel Offenbach Post, 4. Februar 2016

Oliver Augst will den Gute-Laune-Terror nicht verteufeln, sondern betrachtet Ernst Negers Musik als Teil seines Projekts „Archiv Deutschland“. © Kinsler
Oliver Augst will den Gute-Laune-Terror nicht verteufeln, sondern betrachtet Ernst Negers Musik als Teil seines Projekts „Archiv Deutschland“. © Kinsler

Frankfurt - Der Frankfurter Musik-Performer Oliver Augst hat sich – passend zur „fünften Jahreszeit“ – in seinem neuesten Projekt der Fastnachts-Schlager von Ernst Neger angenommen. Von Detlef Kinsler

Es ist noch gar nicht lange her, da zog Oliver Augst vom Main an die Seine, tauschte sein Hausboot nahe der Stadtgrenze mit einem neuen Domizil südlich des Eiffelturms. Trotzdem bleibt der Autor, Sänger und Produzent präsent in der Frankfurter Kulturszene. Am ersten Februarwochenende, kurz vor den tollen Tagen der fünften Jahreszeit, bringt Augst die Konzert-Performance „Der Ernst Neger Komplex“ auf die Bühne des Mousonturms. Unterstützung bekommt er dabei von John Birke (Text), der schon bei der letzten Ko-Produktion im Künstlerhaus, „Stadt der 1000 Feuer“, 2013 dabei war, und von Brezel Göring (Moderation), der mit seiner Band Stereo Total am 17. April wieder in die Waldschmidtstraße kommt.

 

„Brezel und John sind alte Partner von mir. Brezel bringt genau die Mischung aus Anarchie und Schönheit, Kritik und Hingabe an Popmusik mit, um die es gehen soll. Mit Stereo Total hat er das Genre Easy Listening hierzulande quasi neu erfunden und gleichzeitig auf ein ganz anderes Niveau gehoben. Brezel wird die Rolle des Conférenciers und Anheizers übernehmen, während ich mich aufs Singen konzentriere“, erklärt Augst. „John schreibt schon seit Jahren Texte für mich und performt auch mit mir auf der Bühne, wobei er sich dieses Mal auf die Rolle des Textzulieferers beschränkt hat.“ Was sie gemeinsam mit dem Marburg Jazz Orchestra erarbeitet haben, ist ein Repertoire, das man von einem Schöngeist wie Oliver Augst vielleicht nicht erwartet. Schließlich verbindet man den Namen des Initiators mit Bearbeitungen von Brecht/Eisler, Fassbinder/Raben oder Matthias Beltz. Wie passt da der „singende Dachdeckermeister“ Ernst Neger mit seinen Fastnachtsschlagern ins Bild?

Im Gespräch ruft Augst das Hörspiel „Volksliedmaschine“ und eine CD mit neubearbeiteten Volksliedern „An den deutschen Mond“ in Erinnerung: „Insofern steht ein Phänomen wie Ernst Neger, dessen Lieder so ziemlich jeder kennt und mitsingen kann, die also im besten und schlimmsten Sinne volkstümlich sind, in guter Gesellschaft innerhalb des größeren von mir seit Jahren verfolgten Projekts ,Archiv Deutschland’.“ Auch wenn sich Augst klar dazu bekennt, kein „Fastnachter“ zu sein, sieht er keinen Grund, diese Tradition mit ihren Jahrhunderte zurückreichenden Wurzeln als Thema für eine künstlerische Auseinandersetzung auszuschließen. „Ganz im Gegenteil: Karneval ist Teil unserer Kultur, ob wir wollen oder nicht“, betont der Sänger. „Es geht uns aber auch gar nicht so sehr um den Karneval. Was uns interessiert, ist das Sentiment oder vielmehr der Affekt, der sich da in so einer Prunksitzung ausdrückt.“

 

Und so finden sich neben „Heile, heile Gänsje“, „Humba Täterä“ und dem „Narhallamarsch“ auch Titel wie „Alles nur geliehen“ (Heinz Schenk lässt grüßen), die „Tatort“-Titelmelodie, das musikalische Intro zum „Aktuellen Sportstudio“ und sogar Glenn Millers „In A Sentimental Mood“ auf der Setliste des Konzertabends. „Es geht also auch immer um die Frage, wer wir sind. Und genau wie die Big Band bei uns die entnazifizierte Version der alten Blaskapelle ist, genauso ist Glenn Miller oder die funky ,Tatort’-Melodie Teil unserer mehrfach gebrochenen Identität als Deutsche“, verdeutlicht Augst.

Wer aber erwartet, dass hier Intellektuelle den Gute-Laune-Terror verteufeln, wird vielleicht verwundert feststellen, wie die Annäherung funktioniert: „Mit Humor und Experimentierfreudigkeit, nicht denunzierend aber auch nicht anheimelnd, versuchen wir auf schmalem Grat durch eine historisch sehr ambivalente deutsche Sprach- und Musiklandschaft zu wandeln. Wenn man so will, ist das eine kritisch-unterhaltsame Reflexion eines deutschen Phänomens – in Ironie, Überzeichnung und Reduktion – und eine Suche nach dem berühmten magischen, wunden, treffenden Punkt, analytisch und hingebungsvoll zugleich.“ „Der Ernst Neger Komplex“ am 5. und 6. Februar im Frankfurter Mousonturm.

 

Offenbach Post, 7. Dezember 2019
Offenbach Post, 7. Dezember 2019